Da haben wir den Salat!

Was haben eine Hotelmarke, Zigarren, ein Salat, eine Schulform, die Muppets und ein badisches Dorf miteinander zu tun? Es ist eine unterhaltsame Frage, um ein langes Gespräch zu beginnen. Lassen Sie Ihre Freunde einmal rätseln. Ich beginne derweil ein kurzes Kapitel mit der Erklärung.

Aus dem kleinen Ort Walldorf (mit doppeltem l) in der Kurpfalz südlich von Heidelberg (heute Baden-Württemberg), der heute hauptsächlich als Sitz des Software-Unternehmens SAP bekannt ist, wanderte der aus ärmlichen Verhältnissen stammende Metzgerssohn Johann Jakob Astor (1763–1848) im späten 18. Jahrhundert zunächst nach England und dann 1783, kurz nach dem Unabhängigkeitskrieg, in die neugegründeten Vereinigten Staaten von Amerika aus. Dort erwarb er sich zunächst im Musikinstrumentenimport, dann im Pelzhandel und später im Immobiliengeschäft – vor allem in New York – einen Namen und ein beachtliches Vermögen. (Damit ähnelte er einem späteren Pfälzer Auswanderer namens Trump, aber das ist eine ganz andere Geschichte.) Bei seinem Tod galt Astor als reichster Mann Amerikas.

Im Rahmen seiner Tätigkeit als Pelzhändler finanzierte Astor im frühen 19. Jahrhundert eine Expedition an die Westküste, wo die erste US-Siedlung westlich der Rocky Mountains – heute eine 10.000-Einwohner-Stadt in Oregon – seinen Namen erhielt: Astoria. Diese Kleinstadt wurde durch zahlreiche bekannte Filme, die dort gedreht wurden, weltberühmt, unter anderem The Goonies (1985, deutsch: Die Goonies), Short Circuit (1986, deutsch: Nummer 5 lebt!), Kindergarten Cop (1990, mit dem Auswanderer Arnold Schwarzenegger) und die ersten beiden Teile von Free Willy (1993 und 1995).

Astor investierte seine umfangreichen Gewinne aus dem Pelzgeschäft von Anfang an in Immobilien, hauptsächlich im Staat New York. Nachdem er seine Pelzfirma 1834 verkauft hatte, steckte er seine ganze Energie in die Landspekulation. Er erkannte das Potential der aufstrebenden Stadt New York, wo er einige Jahre lang Vorsitzender der Deutschen Gesellschaft war und unter anderem die Astorbibliothek gründete, die später in der heutigen New York Public Library aufging. Seinem Heimatort Walldorf vermachte er 50.000 Dollar für den Bau eines Erziehungs- und Altersheims.

Johann Jakob Astor starb am 29. März 1848, genau zwei Tage vor der Geburt seines Urenkels William Waldorf Astor (1848–1919), dem man den (leicht verkürzten) Namen des alten Heimatortes sozusagen gleich in die Wiege gelegt hatte. Diese zunächst unbedeutend erscheinende Tatsache hatte weitreichende Folgen, denn ihr allein ist es zu verdanken, dass Menschen rund um den Globus auch heute noch, über hundert Jahre nach seinem Tod, der Name Waldorf geläufig ist.

William erbte 1890, als sein Vater starb, einen großen Teil des Familienvermögens, das sein Urgroßvater aufgebaut und an seine Kinder und Enkel weitervererbt hatte, und investierte es unter anderem in den Bau des Waldorf-Hotels an der New Yorker Fifth Avenue, gleich neben dem Astoria-Hotel seines Vetters John Jacob Astor IV (1864–1912), der den Namen der Urgroßvaters lebendig hielt, allerdings mit einer kleinen Amerikanisierung. Obwohl sich die Cousins nicht unbedingt grün waren, schlossen sie irgendwann die beiden Nachbarhotels zusammen und verknüpften dabei deren Namen zu Waldorf Astoria. Allerdings wurden diese beiden ursprünglichen Hotels, die von den Astors bereits 1925 verkauft worden waren, 1929 abgerissen, weil an dieser Stelle das Empire State Building entstand. Dafür wurde zwei Jahre später, nicht weit vom alten Standort entfernt, in der prestigeträchtigen Park Avenue ein neues Waldorf Astoria eröffnet. Inzwischen gibt es weltweit mehr als zwei Dutzend Hotels unter diesem Namen, der mittlerweile der Hilton-Gruppe gehört.

In der Küche des ursprünglichen Doppelhotels wurde Ende des 19. Jahrhunderts ein Salat kreiert, der Waldorfsalat, zu dessen Zutaten auch Walnusskerne gehören. Deren Wortursprung hat aber wohl nichts mit Wal(l)dorf (ursprünglich Waltdorf) zu tun: Der Name leitet sich vermutlich von welsch = „fremd“ ab, da die Nüsse aus Frankreich nach Deutschland kamen. Die dritte Folge der zweiten Staffel der britischen Comedy-Serie Fawlty Towers trägt den Titel “Waldorf Salad” (deutsch: „Waldorfsalat“ bei SAT.1 und „Die Amerikaner“ bei RTL). Einer der Haupt-Gags der Episode rührt daher, dass der britische Kleinhotelbesitzer Basil Fawlty (John Cleese) noch nie etwas von einem Waldorfsalat gehört hat – der eben nach einem großen amerikanischen Hotel benannt ist.

Dieses Hotels war tatsächlich so elegant, dass man sich im Keller sogar eine eigene Zigarrenfabrik für die feinen Gäste leistete, die Waldorf-Astoria Cigar (oder Segar) Company. Im Jahre 1905 erwarb die Hamburger Zigarrengroßhandlung M. Müller jr. die Markenrechte an jenem Namen für Tabakwaren und brachte sie im Jahr darauf als Gesellschafter in die neugegründete Waldorf-Astoria-Zigarettenfabrik mit Sitzen in Hamburg und Stuttgart ein. Die Fabrik wurde 1929 von der Firma Reemtsma übernommen, die bis heute Zigaretten mit dem Namen Astor und dem Konterfei von Johann Jakob Astor produziert.

Auch diese kleine Anekdote wäre wahrscheinlich nur eine Fußnote der Industriegeschichte geblieben, wäre Emil Molt, der Gründer der Waldorf-Astoria-Zigarettenfabrik, nicht ein großer Anhänger einer esoterischen Weltanschauung namens „Anthroposophie“ (von griechisch ἄνθρωπος = „Mensch“ und σοφία = „Weisheit“) gewesen. Zusammen mit deren Chefphilosoph Rudolf Steiner (1861–1925) hob Molt 1919 (also im Todesjahr von William Waldorf Astor) am Stuttgarter Sitz der Zigarettenfabrik die erste sogenannte Waldorfschule als Betriebsschule für die Arbeiter und Angestellten der Fabrik aus der Taufe.

Auf diese Weise war der Name Wal(l)dorf auf einem großen Umweg über den Großen Teich und retour nach über hundert Jahren an einen Ort zurückgekehrt, der nur rund 80 Kilometer vom ursprünglichen Walldorf entfernt lag – auch wenn er auf der Reise ein l eingebüßt hatte. Waldorfschulen und -kindergärten gibt es inzwischen auf der ganzen Welt, unter anderem auch in den USA.

Unabhängig davon entstand aus dem Namen der Hotels aber noch ein weiterer Namensträger. Als Jim Henson (1936–1990), der Erfinder der Muppets (ein Kofferwort aus marionette und puppet), 1975 Namen für zwei nörgelnde, griesgrämige Greise als Kommentatoren in der Loge seiner geplanten Muppet Show (1977–1981) suchte, griff er auf die Namen zweier berühmter New Yorker Hotels zurück, einerseits das Statler (inzwischen Hotel Pennsylvania) und andererseits eben das Waldorf (die Figur hat zudem eine gelegentlich erwähnte Ehefrau namens Astoria). Waldorf wurde in der Originalfassung von Henson selbst gesprochen. Da die Serie in über hundert Ländern der Welt erfolgreich war und ist, verbreitete sich der Name der kleinen badischen Stadt auch auf diesem Wege noch einmal um den Erdball – ob der alte Johann Jakob das geahnt hätte?

Image by RitaE from Pixabay

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