Von den 88 Sternbildern (Konstellationen) am Nachthimmel (die wir natürlich nicht alle von jedem Punkt der Erde sehen können) sind vielen Menschen nur die zwölf Tierkreiszeichen, die in der Pseudowissenschaft der Astrologie eine Rolle spielen, und vielleicht noch ein paar geläufige wie der „Große Wagen“ (Großer Bär) oder Orion bekannt. Tatsächlich begegnen uns viele Sterne und Sternbilder auch in unserem Alltag – wenn wir nur genau hinschauen.
Recht bekannt dürfte das Kreuz des Südens sein, denn es ist auf gleich zwei Länderflaggen abgebildet, die die meisten Menschen schon einmal gesehen haben: Australien und Neuseeland. Obwohl sich diese beiden Flaggen stark ähneln und gelegentlich auch verwechselt werden, gibt es ein paar signifikante Unterschiede. Gemeinsam ist ihnen der Union Jack in der Gösch (dem oberen Liek) und eben das Sternbild Kreuz des Südens oder Crux Australis (zu dem es übrigens kein nördliches Pendant gibt, obwohl der Name es vermuten ließe). Auf beiden Flaggen sind die vier hellsten Sterne dieses Sternbilds zu sehen, die zugleich die vier Endpunkte der etwas schiefen Kreuzbalken bilden. Von unten beginnend sind dies im Uhrzeigersinn α Crucis (auch Acrux genannt), β Crucis (Becrux oder Mimosa), γ Crucis (Gacrux) und δ Crucis (De[l]crux oder Pálida). Auf der neuseeländischen Flagge sind die Sterne rot mit weißem Rand, unterschiedlich groß (β und γ sind gleich groß) und fünfzackig, auf der australischen weiß, gleich groß und siebenzackig. Hinzu kommt auf der australischen Flagge noch der fünfthellste Stern des Sternbilds, ε Crucis (Intrometida), der aber kleiner dargestellt wird und fünfzackig ist. Der größte Stern auf dieser Flagge befindet sich im unteren Liek (also unterhalb des Union Jack) und hat sieben Zacken, stellt aber keinen Stern am Himmel dar, obwohl er sich ungefähr in der Position des Sterns Agena (β Centauri) befindet. Es handelt sich hier um den symbolischen siebenstrahligen “Commonwealth Star”, dessen Strahlen für die sieben Teile Australiens stehen (sechs Bundesstaaten plus Territorien). Nicht zuletzt wegen der großen Ähnlichkeit der beiden Flaggen gab und gibt es in beiden Ländern immer wieder Initiativen, die Flaggen zu ändern, doch in Neuseeland entschied sich zuletzt 2016 eine Mehrheit von 57% in einem Referendum für die Beibehaltung der aktuellen Flagge.
Das Kreuz des Südens ist außerdem noch auf den Flaggen von Samoa und Papua-Neuguinea abgebildet. In der Flagge Samoas befindet es sich in der Gösch. Die fünf Sterne von α bis ε sind hier weiß und fünfzackig, wobei α größer und ε kleiner als die übrigen drei dargestellt ist. Die Flagge Papua-Neuguineas ist diagonal geteilt, und das Kreuz des Südens steht hier nicht wie auf den zuvor genannten Flaggen auf blauem, sondern auf schwarzem Grund. Die vier helleren Sterne sind fünfzackig und gleich groß, ε hingegen deutlich kleiner.
Dem Kreuz des Südens war in frühen Entwürfen auch eine größere Rolle auf der brasilianischen Nationalflagge zugedacht. Einer der ursprünglichen Vorschläge von 1889 wurde 30 Jahre später aufgegriffen und existiert bis heute als Flagge des Bundesstaates Goiás. Hier steht ein stark abstrahiertes Kreuz des Südens mit vier gleich großen fünfzackigen weißen Sternen in den Ecken und einem kleineren Stern in der Mitte eines blauen Feldes in der Gösch einer grün und gelb gestreiften Flagge. Auch der brasilianische Bundesstaat Paraná verwendet des Kreuz des Südens (ebenfalls ein wenig verzerrt) in seiner Flagge.
Auf der Flagge, die dann 1889 tatsächlich zur Nationalflagge Brasiliens erkoren wurde, fristet das Kreuz des Südens ein eher versteckteres Dasein unter den ursprünglich 21 und mittlerweile 27 Sternen, die dort abgebildet sind. Die Sterne sollen ein Stück des Nachthimmels über Rio de Janeiro am 15. November 1889 um 8:30 Uhr zeigen, dem Ort und Zeitpunkt, an dem die Republik ausgerufen wurde. Gleichzeitig stehen die Sterne für die Bundesstaaten des Landes und den Bundesdistrikt (Distrito Federal), und aus diesem Grunde hat sich ihre Zahl auch im Laufe der Jahre verändert – seit 1992 sind es 27. Das Besondere an der Darstellung ist, dass sie die Sicht von „außen“ auf eine gedachte Himmelskugel wiedergibt und das Kreuz des Südens, wie auch alle anderen Sternbilder, folglich spiegelverkehrt ist, das heißt: γ und ε stehen auf der linken, β auf der rechten Seite. Jeder Stern steht für einen bestimmten Bundesstaat. Im Falle von Crux Australis sind dies: α für São Paulo, β für Rio de Janeiro, γ für Bahia, δ für Minas Gerais und ε für Espírito Santo. Die Sterne haben insgesamt fünf verschiedene Größen, und die Größe der Sterne steht in direktem Bezug zur Größe des jeweiligen Bundesstaates. Neben dem Kreuz des Südens sind noch die folgenden Sternbilder auf der brasilianischen Flagge vertreten: Jungfrau (Virgo) (Spica [α Virginis] ist der einzige Stern oberhalb des Schriftbands), Kleiner Hund (Canis minor), Wasserschlange (Hydra), Großer Hund (Canis maior), Kiel des Schiffs (Carina), Skorpion (Scorpio), Südliches Dreieck (Triangulum Australe) und Oktant (Octans).
In der gleichen Weise wie auf der brasilianischen Flagge repräsentiert die Zahl der 50 Sterne auf dem Sternenbanner (Star-Spangled Banner), auch Old Glory genannt, also auf der Flagge der USA, die Bundesstaaten und wurde daher ebenfalls bei jedem „Neuzugang“ angepasst, aber hier sind den Staaten keine bestimmten Sterne zugeordnet und alle Sterne haben die gleiche Größe.
In den meisten Fällen haben Sterne auf Flaggen wie dieser also rein symbolische Bedeutung und stehen zum Beispiel für Landesteile oder Volksgruppen, stellen aber keine Sternbilder dar. Bei der Anordnung der Sterne auf der Flagge Tuvalus könnte man ein Sternbild vermuten, doch repräsentieren die Sterne hier die neun Inseln des Landes in ihrer geographischen Anordnung (wobei Norden an der Liekseite und Süden an der Flugseite liegt).
Immerhin gibt es aber auch in den USA noch ein Sternbild, dass auf Flaggen zu finden ist, nämlich den Großen Bären (Ursa maior, also eigentlich „die große Bärin“), bei uns auch „Großer Wagen“ und in Amerika “Big Dipper” („großer Schöpflöffel“) genannt. Diese Konstellation ziert sowohl die Flagge Alaskas (zusammen mit Polaris [α Ursae minoris]) als auch die Friedens- und Kriegsflaggen der Cherokee-Indianer. Auf der Flagge Alaskas sind die sieben Sterne fünfzackig und golden und, mit Ausnahme des größeren Polaris, gleich groß. Auf der weißen Cherokee-Flagge sind sie siebenzackig und rot und ebenfalls gleich groß – auf der roten Kriegsflagge sind sie weiß.
Insgesamt finden wir auf rund einem Viertel aller Nationalflaggen unterschiedliche Sterne, allerdings nach dem Ende des Kommunismus kaum (noch) auf europäischen. Hier sind es nur zwei relativ junge Länder, nämlich Bosnien und Herzegowina und die Republik Kosovo, die Sterne enthalten – aber natürlich finden wir Sterne, wie schon erwähnt, auch auf der Flagge der Europäischen Union. Hier steht die Anzahl 12 einfach nur für Vollkommenheit.
Dass es aber auch eine Euromünze mit einem Sternbild gibt, wissen vielleicht nur deshalb nicht allzu viele Menschen, weil sie in relativ kleiner Auflage für eines der kleineren Euro-Länder geprägt wird und daher im Ausland nicht weit verbreitet ist. Auf der Länderseite der 50-Cent-Münze von Slowenien ist das Sternbild Krebs (Cancer) abgebildet, das darin erinnern soll, dass Slowenien am 25. Juni 1991 unabhängig wurde. In der (unwissenschaftlichen) astrologischen Deutung lag der Sonnendurchgang an diesem Tag im Sternbild Krebs – aus astronomischer Sicht lag er im Ekliptiksternbild Zwillinge (Gemini).
Bei Autos und Sternen denken die meisten Menschen vermutlich an den dreizackigen Stern einer Stuttgarter Luxusmarke, aber viel mehr Sterne sind auf jedem Subaru zu sehen. Tatsächlich steht das japanische subaru für die Sternenformation, die wir als Plejaden kennen, einen Sternhaufen im Sternbild Stier (Taurus). Obwohl wir den Sternhaufen M45 auch als Siebengestirn kennen, sind im Emblem der Automarke nur sechs Sterne abgebildet, denn in Japan betrachtet man die sechs hellsten Sterne als eigenes Sternbild.
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Brasilianische Flagge: Image by ASSY from Pixabay
Australische Flagge: Image by Rebecca Lintz from Pixabay