Das Geschlecht der Geschlechtslosen

Nehmen wir einmal – rein hypothetisch – an, die Sprachsexualisierer hätten tatsächlich rationale Argumente, die für eine Vergeschlechtlichung der Sprache sprächen. Eines ihrer Hauptargumente ist, dass generische Begriffe jeweils nur das biologische Geschlecht (Sexus) abdeckten, das dem grammatikalischen Geschlecht (Genus) des Wortes entspricht und kein anderes. Voraussetzung für diese angebliche sprachliche „Unterdrückung“ eines biologischen Geschlechts müsste demnach jedoch logischerweise das Vorhandensein eines biologischen Geschlechts sein: Man kann nichts unterdrücken, was es nicht gibt – sollte man annehmen.

Die Absurdität der Gleichsetzung von Genus und Sexus entlarvt sich also spätestens dann selbst, wenn man alles, was grammatikalisch feminin ist, als biologisch weiblich betrachtet, also künstlich sexualisiert. Obwohl hier kein existierendes (biologisches) Geschlecht bevor- oder benachteiligt werden kann, sieht man immer wieder, wie grammatikalisch femininen (und sogar neutralen!) Dingen ohne Not ein objektiv nicht vorhandenes biologisches Merkmal der „Weiblichkeit“ zugeordnet wird. Wir beschäftigen uns daher hier mit dem Geschlecht des Geschlechtslosen – genauer: dem Genus des Asexuellen.

Wir wissen, dass es keinen Zwang zur Kongruenz (also der Übereinstimmung von Genus und Sexus) gibt:

ist nicht nur völlig korrekt, sondern auch alternativlos. Darüber hinaus besitzen aber auch Dinge und abstrakte Vorstellungen ohne biologisches Geschlecht stets ein grammatikalisches: der Baum [m], die Zeitung [f], der Impressionismus [m], das Fest [n], die Regierung [f], das Mittelalter [n], der Witz [m] und so weiter. Hier spielt die Biologie offensichtlich keine Rolle, und folglich kommt die Kongruenz von Genus und Sexus erst gar nicht ins Spiel.

Aber es gibt auch keinen Kongruenzzwang zwischen den Genera. Der Baum [m] ist eine Pflanze [f] ist deshalb ebenso korrekt und logisch wie Die Blume [f] ist ein Gewächs [n]. Folglich stimmen auch die Sätze: Die Kiefer [f] ist ein Baum [m] oder Die Hortensie [f] ist ein Strauch [m]. Ich kann sogar sagen:

Die Logik dieses Satzes ist nicht zu beanstanden – und würde ich Die Lampe durch Der Schrank [Maskulinum] oder Das Sofa [Neutrum] ersetzen, wäre der Satz ebenso korrekt.

Gleichermaßen selbstverständlich ist: Die Petersbasilika [f] ist eine Kirche [f] – aber die Tatsache, dass die Basilika ein Femininum ist, macht den Gegenstand, also die Basilika selbst, nicht zu einem weiblichen Wesen, denn Der Kölner Dom [m] ist eine Kirche [f] und Das Ulmer Münster [n] ist eine Kirche [f] sind ebenfalls fehlerfreie Aussagen. Warum sollte man das Femininum Kirche auch „maskulinisieren“ oder „neutralisieren“? Es gibt keinen Grund dazu.

Tatsächlich sind Maskulinisierungen und Neutralisierungen auch kaum zu finden – Feminisierungen hingegen erschreckend häufig. Der Unsinn scheint also in dem einen Fall den meisten Schreibern einzuleuchten, im anderen nicht.

Ein Tisch ist im Deutschen vom Genus maskulin, besitzt aber kein biologisches Geschlecht. Wenn ich sage: „Jeder Tisch hat Beine“, dann schließe ich – trotz des (grammatikalischen) Maskulinums – garantiert keinen Tisch aus, weil es (biologisch) weibliche Tische nicht gibt (ebensowenig wie männliche). Gleiches gilt, wenn ich von „allen Fernsehsendern Deutschlands“ spreche. Auch diese Formulierung schließt keinen einzigen Sender aus: Es heißt zwar der Sender, aber es gibt keine weiblichen. Und wenn ich von „allen Zeitungen“ spreche, gilt das ebenso: die Zeitung ist zwar ein Femininum, aber es gibt keine männlichen Zeitungen, also schließe ich keine Zeitung aus. Aus dieser Logik folgt eigentlich selbstverständlich, dass auch keine Movierung erfolgen darf. Die Kiefer ist keine „Bäumin“, die Hortensie keine „Sträuchin“ und die Lampe keine „Gegenständin“. Dem würden wohl die meisten rational denkenden Menschen zustimmen – nicht aber die taz!

Man reibt sich schon die Augen, wenn man liest, dass Ulrike Winkelmann, eine Chefredakteurin der taz, ihre Zeitung als „Vorreiterin der Sprachpolitik“ bezeichnet. Wer hatte sich hier diskriminiert gefühlt oder wäre durch das Maskulinum „Vorreiter“ benachteiligt worden? Und welches biologische Geschlecht will man einer Sache zuordnen, die grammatikalisch ein Neutrum ist?

ist ein alternativloser Satz, den wohl auch jeder akzeptieren würde – wie sonst sollte man es ausdrücken? Ein „Nachfolgendes“? Ich kann die Aussage aber auch so umformulieren:

Weshalb sollte dieser Satz nun falsch sein? Weshalb sollte es nun plötzlich heißen: „Die Draisine ist eine Vorläuferin …“? Laut taz, dem Vorreiter – pardon, der „Vorreiterin“! – der Sprachpolitik, wird aber genau das von jenen radikalen Sprachsexualisierern gefordert, die nicht beim Sexus Halt machen, sondern auch noch das gesamte feminine Genus mit in den sprachlichen Abgrund reißen möchten.

Selbst die gemeinnützige, mit Steuermitteln geförderte Stiftung Warentest ist sich nicht zu schade, eine Matratze als „Testsiegerin“ zu bezeichnen. Dem Autor muss wohl der bekannte T-Shirt-Aufdruck „Die beste jemals getestete Matratze ging mit mir zur Schule“ durch den Kopf gespukt sein – anders lässt sich die völlig unnötige Sexualisierung dieses leb- und geschlechtslosen Gegenstands kaum erklären.

Würde man diese „Logik“ weiter ausdehnen, müsste es nicht nur heißen:

(mit der „Begründung“, dass Mannschaft ja ein grammatikalisches Femininum sei), sondern „logischerweise“ auch:

Nun kann man den Denkfehler („feminin = weiblich“) bei einer Übertragung des Genus Femininum auf eine tote oder abstrakte Sache noch halbwegs nachvollziehen – auch wenn es ein Fehler bleibt. Völlig abstrus aber wird es, wenn die Schweizer Regierung auf einer amtlichen Website einen Gastkommentar des Bundespräsidenten und des Präsidenten des Internationalen Komitees vom Roten Kreuz (IKRK) veröffentlicht, in dem es heißt: „… das IKRK ist die Hüterin des humanitären Völkerrechts und die Beschützerin der Kriegsopfer“ – an welcher Stelle schreit hier ein Neutrum (das Komitee) nach der Feminisierung? An welcher Stelle des Satzes kommt überhaupt ein Femininum ins Spiel? (Nicht einmal das Rote Kreuz ist feminin!) In der (offiziellen) französischen Fassung der Seite heißt es hingegen: « le CICR est le gardien du droit international humanitaire et le défenseur des victimes de la guerre » – im Französischen ist comité ein Maskulinum. Gleiches gilt für die italienische Textfassung: Zu il comitato heißt es «il CICR rimane il guardiano del diritto internazionale umanitario e il difensore delle vittime di guerra». Das Komitee unterzieht sich also nicht nur einer sprachlichen Übersetzung, sondern einer biologischen Geschlechtsumwandlung.

Inzwischen geht die blinde Feminisierungswut so weit, dass ein bekannter Fernsehmoderator zum Beispiel sagte: „Carolin Kebekus ist eine der lustigsten Menschen, die ich kenne.“ Natürlich ist sie einer, weil der Mensch, gleich welchen biologischen Geschlechts, maskulin ist. Andererseits kann (und muss!) man sagen: „Kaiser Nero war eine der schillerndsten Persönlichkeiten seiner Zeit“ oder „Paula ist eines der schlausten Mädchen ihrer Klasse“, weil Persönlichkeit ein Femininum und Mädchen ein Neutrum ist, unabhängig vom Genus des Subjekts (Nero bzw. Paula).

Trotzdem hört und liest man auch immer wieder falsche Konstruktionen wie: „Das Mädchen hat ihre Hausaufgaben vergessen“ statt des korrekten „seine Hausaufgaben“ (bezogen auf das Neutrum Mädchen). Unsinnig sind auch Sätze wie der folgende, der in einer Fahndungssendung des Fernsehens fiel. Geschildert wurde ein Raubüberfall auf eine Frau. Dann hieß es: „Das Opfer wurde niedergeschlagen und ihre Handtasche geraubt.“ Das Opfer ist ein Neutrum, und folglich kann auch nur seine Handtasche geraubt werden – der Satz wäre im Falle eines männlichen Opfers der gleiche gewesen wie hier im Falle eines weiblichen Opfers: Genau das zeichnet das Neutrum aus – es ist (geschlechts)neutral. Der grammatische Fehler, der in den hier genannten Fällen begangen wurde, beweist aber einmal mehr, dass die Vorstellung von der (im Sexus weiblichen) Person das (im Genus neutrale) Wort (Mädchen, Opfer) überlagert. Und genau diese Tatsache belegt erneut, dass die Behauptung unhaltbar ist, die Grammatik lenke stets die Vorstellung, nicht die Realität. Das Gegenteil ist der Fall.

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Bild von Greg Montani auf Pixabay

Ein Kommentar zu „Das Geschlecht der Geschlechtslosen

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