Ich habe meine Probleme mit dem Schlagwort „bio“. Das hängt nicht nur damit zusammen, dass der Gebrauch so verwaschen ist, dass es eher für hohe Preise als für garantierte Qualität, Gesundheit, Umweltverträglichkeit oder Tierliebe steht (anderes Thema!). Vor allem stört mich der Gebrauch aus sprachlicher Sicht. Was heißt denn eigentlich „bio“?
Bio leitet sich vom griechischen Wort bios ab, was soviel wie „Leben“ bedeutet. Es steht aber auch als Kurzform für Biologie („Lehre vom Leben“) und das davon abgeleitete Adjektiv biologisch. So weit war und ist der Begriff noch klar umrissen. Irgendwann begann aber eine bestimmte Form der alternativen Landwirtschaft, sich diesen Begriff anzueignen. Während die Erzeugnisse jedweder Landwirtschaft von Lebewesen (Pflanzen oder Tieren) stammen und in diesem Sinne biologischen Ursprungs sind, besetzte nun diese spezielle Form den Begriff und meldete eine Art Alleinvertretungsanspruch an. Demnach wäre nur noch das als bio(logisch) zu bezeichnen, was bestimmten Zucht- oder Anbaukriterien entsprach.
Es kommt in der Sprache natürlich noch häufiger vor, dass sich – aus reiner Bequemlichkeit oder Kürzungssucht – einzelne Silben verselbständigen, die dann nur noch wenig oder sogar einen falschen Sinn ergeben.
Das bekannteste Beispiel ist unser Auto. Wir wissen alle, dass das Kurzwort für Automobil steht, ein Zwitterwort aus dem griechischen autos („selbst“) und dem lateinischen mobilis („beweglich“). Wenn wir jedoch von Auto sprechen, dann bleibt nur noch „Selbst“ – und das gleichbedeutende bil der Schweden (also die letzte Silbe) ergibt überhaupt keinen Sinn mehr.
Ein weiteres bekanntes Beispiel ist Foto: Die Fotografie (oder Photographie) – von griechisch photós („Licht“) und graphein („schreiben, zeichnen, malen“) ist das „Malen mit Licht“ oder „Lichtmalen“, wenn man die Tätigkeit meint und das „Lichtgemälde“, wenn man vom Produkt spricht. Wenn man dieses aber kurz Foto nennt, ist es eigentlich nur noch „Licht“.
Ähnliches gilt für das Kino, die Kurzform von Kinematograph („Bewegungsschreiber“). In Schweden wird das Gerät (und daraus abgeleitet das Lichtspielhaus) biograf („Lebensschreiber“) genannt und bio abgekürzt – wer also in Schweden ins Kino geht, geht der Wortbedeutung nach ins „Leben“ – womit wir wieder bei der Verwirrung mit dem Begriff Bio wären („Bio-Lebensmittel“ sind in Schweden übrigens ekologisk).
Es ist nicht falsch, wenn ich behaupte, dass wir alle Homo sind, nämlich Angehörige der Spezies Homo sapiens sapiens, des modernen Menschen (modern bezieht sich hier auf die Neuzeit – nicht etwa auf unser Verhältnis zur Technik oder zur modernen Kunst). Was uns bei dem Satz aber wahrscheinlich alle etwas stutzig macht, ist, dass es neben dem lateinischen Substantiv homo noch das griechische Adjektiv homós gibt, das „gleich“ bedeutet. Aus diesem hat sich in unserer und vielen anderen Sprache die Vorsilbe homo- abgeleitet, die genauso klingt und genauso geschrieben wird – Sprachwissenschaftler sprechen hier von einem Homonym. Und als ob das noch nicht verwirrend genug wäre, hat sich auch diese Vorsilbe homo- recht einseitig verselbständigt. Man findet sie in unzähligen Adjektiven, wie homogen, homolog oder homophon (und entsprechenden Substantiven), und immer bedeutet sie hier, dass etwas „gleich“ ist: gleichbeschaffen, gleichlautend, gleichklingend und so weiter. Doch beim Adjektiv homophob tappt man in eine böse Falle, denn hier steht homo- nicht, wie man meinen könnte, für „gleich“, sondern als Kurzform für den sehr spezifischen Begriff homosexuell, als „gleichgeschlechtlich“. Während Klaustrophobie die Angst vor geschlossenen Räumen, Agoraphobie die Angst vor offenen Plätzen, Xenophobie die Angst vor Fremden und Arachnophobie die Angst for Spinnentieren ist (nicht zu verwechseln mit Arachibutyrophobie – das ist die Angst, dass Erdnussbutter am Gaumen festkleben könnte), ist Homophobie nicht etwa die Angst vor allem Gleichen, sondern die spezifische Angst vor Homosexualität – nur dass das aus dem Wort nicht mehr hervorgeht.
Echte Bauchschmerzen (!) bereitet mir jedoch die Vorsilbe Gastro-. Sie leitet sich von der griechischen Genitivform gastros ab und bedeutet eigentlich „Magen“ – wie jeder weiß, der schon einmal Gastritis („Magen[schleimhaut]entzündung“) hatte oder eine Gastroskopie („Magenspiegelung“) über sich ergehen ließ. Mit der gleichen Vorsilbe wurde auch der Begriff Gastronomie gebildet, der eigentlich „Magenkunde“ bedeutet, aber tatsächlich, wie man weiß, ein Teilbereich des Gastgewerbes ist, der sich mit der Bewirtung befasst. Aufgrund der irreführenden Ähnlichkeit mit dem Wort Gast (das in seiner ursprünglichen Bedeutung aber „Fremdling“ und sogar „Feind“ bedeutete) denkt kaum noch ein Gastronom an „Magen“, aber gerade das führt zu den absurdesten Wortkombinationen, wenn es um Gastronomie geht. So liest auf Websites wie gastro-hero.de („Magen-Held“) von „Gastro-Technik“ (etwa für Magenspiegelungen?) und „Gastro-Messen“ wie „GastroTageWest“ (zum Magenauspumpen?) oder „Intergastra“ (für den „Zwischenmagen“?).
Eine ausführliche Version dieses Beitrags gibt es in meinem Buch Dr. Kinnes Sprechstunde, das auch einen Link zu meinem Online-Quiz enthält.
Foto: Michael Gaida
Neben „Gastro“ sorgt auch die Vorsilbe »un« für sprachliche Unsicherheit. Bedeutet sie, dass etwas nicht ist? Ist ein Unmensch kein Mensch, sprechen Sie ihm das Menschsein ab oder halten Sie ihn für einen besonders schlechten Menschen? Ist ein Unwort kein Wort?
Ohne logischen Bruch kann ein Unmensch viele Untaten begehen, ohne dabei untätig zu bleiben. Ist Unkraut kein Kraut, da es im Kleingarten nicht nützlich ist?
Die Firma Schwalbe preist unplattbare Fahrradreifen an.
Das Wort unkaputtbar ist ein bekanntestes Beispiel, wie Werbung Sprache beeinflusst. Coca-Cola verwendet die Wort-Neuschöpfung 1990 bei der Einführung der ersten PET-Mehrweg-Flasche. Die Berliner taz schrieb schon vor Jahren, unsere Städte seien im Grunde unbankrottbar, weil dann halt der Bürger zahlen muss. Marketing-Professor André Bühler verkündet nach der Fußball-WM 2014, Bastian Schweinsteiger habe sich den Ruf der Unkaputtbarkeit verdient.
Unwetter ist schreckliches Wetter, Untiere fürchterliche Tiere und Unkosten sind Kosten, die keiner zahlen mag. Wer aber nach einem Festschmaus nichts mehr essen mag ist satt, nicht etwa unhungrig.
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